Mit dem MTB vom Monviso zum Mittelmeer im wilden Westen Teil 2

Für eine solch ehrgeizige Tour per Mountainbike im hochalpinen Terrain bis über 3000 m Höhe braucht es neben einer peniblen Vorbereitung eine sehr gute Motivation. So wurde Martin bereits bei der Anreise auf eine harte Probe gestellt: Auf dem Radweg unterwegs zum Busbahnhof in Würzburg fegte ihn ein Rüpel vom Bike. Doch selbst diverse Prellungen und eine arg verstauchte Hand konnten ihn nicht von seinem Vorhaben abbringen, ebenso wenig wie die überaus beschwerliche Nachtfahrt per FlixBus nach Turin. Am folgenden Abend fand sich unser Viererteam in der Outdoor-Destination Bardonecchia ein, einem Hotspot auch für motorisierte Endurobiker und Quad-Enthusiasten.

Gleich zu Beginn der Tour hätte uns ein Lift den ersten Anstieg erspart, wenn er denn gefahren wäre. So erreichten wir die Passhöhe später und auch hungriger als geplant. Doch das Schicksal meinte es gut: genau hier rastete eine freundliche schwäbische Familie im Land Rover und spendierte uns Bananen sowie Trinkwasser. Trailabfahrt durch ein traumhaftes Hochtal, dann folgte nochmals ein Anstieg, bis wir schließlich den eher mondän anmutenden Wintersportort Montgenèvre erreichten, den wir bereits im letzten Jahr passiert hatten. Es stellte sich als überaus klug heraus, hier nur für ein Eis im Stehen kurz zu pausieren, denn so erreichten wir in letzter Minute den Lift, der uns 1200 Höhenmeter einsparte. Schließlich gelangten wir noch zu ziviler Zeit und nach kurzem, abendlichen Regenschauer zu unserem Tagesziel mit Blick auf den Talschluss, das Refuge des Fonts. Warmduschen, zu viert in einem 6er-Zimmer, leckeres und reichliches Essen – rasch waren die Strapazen vergessen.

Eine deftige Schiebepassage auf den Pic du Malrif (2906 m) bei Sonnenschein und angenehmer morgendlicher Kühle leitete den zweiten Tag ein. Vom Gipfel aus belohnte uns ein Panoramatrail entlang dem Grat, vorbei an einem kleinen tiefblauen See und zumeist flowig durch lichten Wald bis zum 1500 m tiefer liegenden Dorf Abriès. Kurze Mittagspause am Supermarkt und noch mal 1000 Hm hinauf überwiegend im Sattel, bis wir in goldener Abendsonne entlang einem kleinen Bewässerungskanal unsere Unterkunft, das „Chalet de Genepy“ erreichten. Eine Kostprobe vom „Genepy“, dem besten Kräuterlikör der Region, durfte natürlich nicht fehlen. 

Bei prächtigem morgendlichem Sonnenschein folgten wir zunächst der Straße bis kurz vor den Col Agnel zum anschließendem Schiebestück auf den Pic de Caramantran mit 3025 m Höhe, bevor ein langer epischer S2-Trail unsere Fahrtechnik auf die Probe stellte. Sorgenvolle Blicke galten den nun rasch aufziehenden Wolken, aber es blieb trocken bis wir das Dorf Casteldelfino erreichten, wo wir uns in einem winzigen Café stärkten. Erste schwere Tropfen fielen vom Himmel, als wir das Café verließen, doch innerhalb von Sekunden tobte ein Inferno los: schwallartiger Regen, der nach wenigen Augenblicken in einen anhaltenden Hagelschauer überging, Körner bis Golfballgröße prasselten lautstark herab. Unter einem kläglichen Vordach fanden wir Unterstand, während der motorisierte Verkehr zum Erliegen kam und unsere Füße von den Wassermassen umspült wurden.

Fast zwei Stunden später hatte der Hagel aufgehört und auch der Regen deutlich nachgelassen, sodass wir auf der Straße bergab rollen konnten, um schließlich trotz der Regenklamotten ziemlich durchnässt das Städtchen Sampeyre zu erreichen. Der überaus freundlichen Dame im Verkehrsbüro schulden wir lebenslang Dank, denn nur ihrer Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, dass sich schließlich ein Taxiunternehmer aus dem Nachbartal fand, der sich unserer erbarmte. Mit Anbruch der Dunkelheit erreichten wir unser Quartier im Valle Maira, wo wir schon als „verschollen“ galten. Der Besitzer zauberte ein leckeres 6-Gänge-Menü auf den Tisch, das für alle Strapazen reichlich entschädigte. Am nächsten Morgen fand sich unsere Kleidung getrocknet, das Frühstück üppig, und der Himmel grüßte in strahlendem Blau.

 

 

Wir folgten weiter dem Valle Maira und bewältigten 1000 Hm bis zum Pass zum Colle Fauniera. Bei der Auffahrt streikte Mathias’ Freilauf, doch genau im rechten Moment überholte uns ein Pickup. Der einheimische Bergbauer fackelte nicht lang und brachte Mathias samt Bike hinauf zum Rifugio Fauniera. Dort fand er Hilfe, sodass wir die Tour ohne Verzögerung mit einer Traumabfahrt durch eine wilde Schlucht nach Sambuco fortsetzen konnten. Panini-Pause im Tal und dann auf einsamer Straße hinauf zum Wallfahrtsort Santuario Sant’Anna di Vinadio auf 2075 m zum Einchecken im komfortablen Gästehaus, das mit unzähligen Pilgern gut belegt war. Der anhaltende Regen am nächsten Vormittag gab uns Gelegenheit, einem Ferragosto-Festgottesdienst mit stimmgewaltigem Chor beizuwohnen – „Halleluja“.

Unsere Route mussten wir erneut wetterbedingt umplanen – für den ganzen Tag waren starke Gewitter vorhergesagt –, da machen aufgrund mangelnder Infrastruktur in den Westalpen Passübergänge nahe der 3000-m-Marke keinen Sinn. Also zurück ins Tal und über einen niedrigeren Pass hinüber nach Valdieri, wo wir nach entspannter Trailabfahrt in urigen Holzhütten eines Campingplatzes auf einer ehemaligen Nekropole aus der Steinzeit untergebracht waren. Den Transfer nach Limone Piemonte kürzten wir per Bahn ab und nutzten dort einen Lift bis zur Via del Sale-Panoramastraße. 

Bald erreichten wir gewaltige Festungsbauwerke auf den Bergkämmen um Tende, Teil einer gewaltigen Kette historischer französischer Verteidigungsanlagen. Auf einem sagenhaften technischen Trail gelangten wir nach fast 1500 Tiefenmetern ins Tal und weiter in das Dorf La Brigue, wo wir Unterkunft und leckeres Essen in einem sehr sympathischen kleinen Hotel fanden. Der letzte größere Anstieg führte uns noch mal auf gut 2000 m Höhe in eine wilde und sehr einsame Region im ligurischen Hinterland mit fantastischen Ausblicken auf das nahe Meer. 

Auf dem ligurischen Grenzkamm forderte uns ein technischer Trail, bis wir schließlich bei Pigna das Tal erreichten und von dort immer leicht bergab flott auf Straße gen Ventimiglia pedalierten, dem Ziel unserer Tour. Von hier brachte uns die Bahn nach Finale Ligure, wo wir nach ein paar letzten Höhenmetern unser Hotel Rosita erreichten. Das Team gesund, auch die Räder hatten durchgehalten. Am nächsten Tag machten wir uns nach einem ausgiebigen Bad im Meer auf den Heimweg, dankbar und reich an bleibenden Erinnerungen. Der Vorsatz bleibt: Wir kommen wieder, natürlich bestens motiviert!

Wolfgang